INTERVIEW AM WOCHENENDE Hans-Joachim Rathjen und Ralf Gerken über das Phänomen Angeln

„Das Abendessen selber fangen“

Petri Heil an Lauenbrücks Gewässern: Für Hans Joachim Rathjen (l.) und Ralf Gerken vom ASV Forelle ist Angeln eine willkommene Gelegenheit zum Entspannen und etwas Gutes für die Umwelt zu tun.

Lauenbrück – Das Angeln in Deutschland wird immer beliebter. Und das Jahr für Jahr. 2019 gaben 6,5 Millionen Deutsche an, wenigstens „ab und zu“ Angeln zu gehen. 2015 waren es 5,2 Millionen. Woher rührt dieser Trend? Welche Auswirkungen hat er auf Natur und Tier? Und warum sollten noch mehr Menschen den Angelsport für sich entdecken? Diese Fragen und noch mehr haben wir Hans-Joachim Rathjen (71), Vorsitzender beim ASV Forelle Lauenbrück, und dem erfahrenen Gewässerwart Ralf Gerken (49) gestellt.

Frage:

Herr Rathjen, Herr Gerken, welche Rolle spielen Gedanken des Tierwohls, wenn man am Wasser steht?

Hans-Joachim Rathjen:

Oh, eine sehr große, denn wir sind uns unserer großen Verantwortung für die Kreatur Fisch sehr bewusst. Jeder Angler muss eine fundierte Ausbildung, zum Beispiel in Fischkunde, Rechtskunde, Gewässerökologie, Artenschutz und auch Tierschutz absolvieren und wird vor allem in Fragen des tierschutzgerechten Umgangs mit dem gefangenen Fisch umfassend geschult und geprüft.

Ralf Gerken:

Natürlich gibt es aber wie in jeder sozialen Gruppe auch einige schwarze Schafe, die sich nicht an gängige Regeln halten. In dieser Frage sind unsere Fischereiaufseher bei ihren Kontrollen sehr konsequent und schreiten bei Verstößen gegebenenfalls ein.

Frage:

Tierschützer kritisieren das Angeln heftig als Quälerei. Haben diese Leute unrecht?

Gerken:

Die Kritik kommt in der Regel von Tierrechts- und nicht von Tierschutzorganisationen. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Tierrechtler bekämpfen jegliche Haltung und Nutzung von Tieren und arbeiten oft mit unwissenschaftlichen, teilweise verleumdenden und hetzerischen Kampagnen gegen Angler. Die Frage, ob Fische Schmerzen empfinden, ist zudem wissenschaftlich nicht geklärt, denn Fischen fehlt die Großhirnrinde, der sogenannte Neokortex, der beim Menschen unter anderem für das Schmerzempfinden verantwortlich ist. Rathjen: Und selbst wenn Fische Schmerzen verspüren sollten, sind Angler per Gesetz keine Tierquäler. Nach Paragraf eins im Tierschutzgesetz ist das Angeln ein sogenannter „vernünftiger Grund“, der das Fangen und Töten eines Fisches rechtfertigt. Und das tun wir Angler in aller Regel so tierschutzgerecht wie möglich.

Frage:

Und doch ist das Bild des Anglers in der Öffentlichkeit nicht das beste.

Rathjen:

Dieses Bild versuchen jedenfalls radikale Tierrechtsorganisationen in das öffentliche Bewusstsein zu pflanzen. Die Realität ist aber eine andere. Gerken: Das stimmt. So hat das Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin durch mehrere umfassende wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Angeln in Deutschland sehr wohl auf eine sehr breite gesellschaftliche Zustimmung trifft. Nur eine Minderheit der Bevölkerung, vor allem aus dem urbanen Bereich, empfindet demnach Angeln als Tierquälerei. Auf eine besonders breite Zustimmung trifft das Angeln als Mittel zur Nahrungsbeschaffung und die Hege- und Naturschutzarbeit der Angler. Ich denke, das Bild unseres Vereins in der Öffentlichkeit ist gerade in Lauenbrück sehr gut, und wir sind sehr gut ins Dorfleben integriert.

Frage:

Wer ans Angeln denkt, hat häufig das Bild eines einsamen Anglers vor Augen, der die Angelrute in aller Ruhe ins Wasser hält. Was ist dran an diesem Bild?

Gerken:

Gegenfrage: Was ist falsch an diesem Bild? Angler suchen vor allem Ruhe und Entspannung, aber natürlich auch den Nervenkitzel beim Fang eines möglichst großen Fisches und tolle Naturerlebnisse, die einem normalen Spaziergänger oft verborgen bleiben. An unseren Gewässern lassen sich als ruhiger Angler beispielsweise regelmäßig Eisvögel, Haubentaucher, Ringelnattern und Fischotter beobachten.

Rathjen:

Ja, es gibt aber auch die aktiveren Angler, die auf der Pirsch auf einen Hecht oder eine Meerforelle beim Fliegen- und Spinnfischen eine Flussstrecke abklappern – was angesichts Stacheldraht und Brennnesseln durchaus schweißtreibend sein kann.

Frage:

Angeln galt Jahrzehnte als Rentnersport. Ist das heute auch noch so?

Rathjen:

Nein, definitiv nicht. Die Altersstruktur der meisten Angelvereine ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Altersstruktur. Gerade in den vergangenen Jahren treten wieder viele Jugendliche bei uns ein und bringen ordentlich frischen Wind in den Verein, was wir natürlich außerordentlich begrüßen.

Frage:

Warum spricht man beim Angeln eigentlich überhaupt von Sport? Mit körperlicher Ertüchtigung hat das Ganze doch herzlich wenig zu tun.

Gerken:

Das kommt darauf an, wie man angelt (lacht). Nein, im Ernst: Ab Anfang des 20. Jahrhunderts grenzten sich die neu gegründeten Angelvereine von den Berufsfischern ab und führten auch noch das heute verbotene Wettfischen als Sport durch. Mit Sport hat Angeln – wie auch die Jagd – heute wenig bis nichts zu tun, eher mit nachhaltiger Naturnutzung sowie Hege und Pflege unserer Gewässer. Nur das Casting, also ein Wettkampf, der darin besteht, dass man die Angel weit oder auf ein bestimmtes Ziel hin auswirft, könnte im weitesten Sinne als Angel-Sport angesehen werden.

Frage:

Was macht für Sie persönlich den Reiz des Angelns aus?

Gerken:

In der Natur zu sein, sich entspannen und etwas für die Umwelt tun.

Rathjen:

 Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Frage:

Warum sollten auch andere Menschen mit dem Angeln anfangen?

Rathjen:

Mal ehrlich, was gibt es denn Erholsameres und Gesünderes, als ein Tag beim Angeln in der Natur und an der frischen Luft? Wo bekomme ich frischeren Fisch, als den selbst gefangenen? Und was gibt es Spannenderes als das Abtauchen einer Pose?

Frage:

Über ökologische Aspekte werden wir gleich noch sprechen. Unterhalten wir uns zunächst aber über den Trend zum Angeln in Deutschland. Immer mehr gehen dem nach. Woher kommt das?

Rathjen:

Allen Unkenrufen zum Trotz ist Angeln tatsächlich im Trend. Gerade in den Coronazeiten stellen wir landesweit fest, dass viele Menschen wieder Naturerlebnisse vor der Haustür suchen, der Dauerbeschallung der Medien entfliehen wollen und vermehrt zum Angeln gehen. Gerken: Und was man auch sagen muss: Viele Menschen schätzen es zunehmend, das Abendessen selber zu fangen und nicht einen Tiefkühlfisch unbekannter bis zweifelhafter Herkunft aus dem Supermarkt zu kaufen.

Frage:

Gibt es auch negative Aspekte, die mit dem Angeltrend einhergehen?

Gerken:

Das ist eine Unterstellung, mit der wir gelegentlich von Naturschutzverbänden und -behörden konfrontiert werden. Fakt ist, dass mit dem Angeln in der Regel keine Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes einhergehen. Gerade unser Lauenbrücker Verein hat in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Renaturierungsprojekte gezeigt, dass Angeln und Naturschutz Hand in Hand gehen können.

Rathjen:

Und schauen Sie sich doch mal an den Ziegeleiteichen um: Unsere Arbeitsdiensttruppe ackert hier das ganze Jahr und pflegt dieses Kleinod, das durch unsere Arbeit eines der attraktivsten und artenreichsten Naherholungsziele der Gemeinde geworden ist.

Frage:

Die Klimaerwärmung wirkt sich ja auch auf deutsche Gewässer aus, etwa auf die Wassertemperatur, die Wassermenge oder die chemische Zusammensetzung eines Gewässers. Dies hat Auswirkungen auf die dort lebenden Pflanzen und Tiere. Merken Sie beim Angeln etwas davon?

Gerken:

Ja, vor allem die ausgeprägten Trocken- und Hitzeperioden der vergangenen drei Jahre sind an unseren Gewässern nicht ohne Spuren vorbeigegangen. Die Fintau und Wümme hatten über Monate extreme Niedrigwasserstände; alle Teiche hatten mit massiven Wasserstandsabsenkungen, explodierenden Wasserpflanzenbeständen und kritischen Sauerstoffwerten zu kämpfen. Große Fische meiden Flachwasserbereiche und wandern in den Flüssen tendenziell ab.

Rathjen:

Auch wenn aktuell noch keine klaren Auswirkungen zu erkennen sind, rechnen wir für die kommenden Jahre mit erheblichen Problemen – vor allem für Arten, die auch im Sommer auf kühle Wassertemperaturen angewiesen sind, wie zum Beispiel die Bachforelle und die Koppe.

Gerken:

Und auch für die Meerforelle sind die geringen Wasserstände im Spätherbst ein Problem: Bei ihrer Laichwanderung von der Nordsee in die Fintau und Ruschwede wird das Wümmewehr in Scheeßel fast unpassierbar. Seit 2018 hatten wir deshalb kaum Nachwuchs in unseren Bächen, was dauerhaft zum Aussterben der Meerforelle führen kann.

Frage:

Welche Praxistipps können Sie Anfängern mit auf den Weg geben?

Rathjen:

Er sollte sich an einen erfahrenden Angler wenden und diesen eventuell auch erst mal begleiten. Unser Verein hat auch einen erfahrenden Jugendwart, der jederzeit die jungen Angler unterstützen würde.

Frage:

Angeln stellt man sich eher als eine ruhige und einsame Angelegenheit vor. Warum geht man dazu überhaupt in einen Verein?

Rathjen:

Die Mitgliedschaft ist in der Regel die Voraussetzung, um in den Pacht- oder Eigentumsgewässern des Vereins angeln zu gehen. Natürlich können auch Tageskarten gekauft werden, das ist auf die Dauer aber teurer als eine ordentliche Mitgliedschaft. Auch wenn uns Corona im Augenblick etwas dazwischen funkt, entstehen durch die Vereinsmitgliedschaft viele Kontakte und Freundschaften mit Gleichgesinnten.

Frage:

Wen trifft man denn in Ihrem Verein?

Rathjen:

Das sind junge und alte Angler aus allen Schichten der Gemeinde, vom Bürgermeister bis zum Schüler.

Frage:

Und wo sind die Frauen?

Rathjen:

Frauen sind in der Tat unter den Anglern allgemein eher unterrepräsentiert. Vielleicht ist Angeln für Frauen tendenziell einfach weniger attraktiv. Frauen und Mädchen sind aber natürlich herzlich willkommen.

Quelle: https://www.kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/fintel-ort50583/das-abendessen-selber-fangen-90047375.html

© Warnecke (für das Foto)